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Netzökonomie braucht vernetzte Service-Organisationen

In jeder Minute gehen in Deutschland Anfragen verloren, werden Kunden frustriert, Mitarbeiter demotiviert und Umsätze verpasst.
Gunnar Sohn | 11.12.2013
Fast jedes Call Center ist mit seinen Mitarbeitern auf Effizienz getrimmt und versucht, die Anrufe von Kunden so gut wie möglich zu beantworten. Dennoch gehen in Deutschland in jeder Minute Anfragen verloren, werden Kunden frustriert, Mitarbeiter demotiviert und Umsätze verpasst. Zur gleichen Zeit langweilen sich Agenten, weil nichts passiert und gähnende Langeweile herrscht. Die Betriebskosten stehen in keiner Relation mehr zum Gewinn und den Service-Mitarbeitern geht die Motivation abhanden.

In der Arbeitsorganisation orientiert man sich in der Call Canter-Branche immer noch an den alten und überkommenen Vorbildern des industriellen Kapitalismus – man kann es auch Fordismus nennen. „Produktion“ von Dienstleistungen als Massenware. Standortprinzip statt flexible Arbeit. Kontrolle von Arbeitsplätzen statt Selbstverantwortung. Hierarchisch geführte Agenten-Silos statt smarte Arbeitsbedingungen.

„Zentralistisch geprägte Call Center-Organisationen passen nicht mehr in eine Landschaft, die von Vernetzung und Mobilität geprägt ist. Es fällt zunehmend schwerer, die besten Talente an einem Ort zu gewinnen. Die Rekrutierung von Mitarbeitern muss sich mit Verlegenheitslösungen über Wasser halten. Agenten stehen in Großraum-Büros unter einem enormen Leistungsdruck und reagieren häufig mit Ellbogen-Mentalität gegenüber Kollegen. Die Teamarbeit und der Wissensaustausch bleiben auf der Strecke – auch wenn in der Öffentlichkeit das Gegenteil behauptet wird“, weiß Thomas Dehler, Geschäftsführer von Value5.

Fußballkicker als Feigenblatt

An starren Arbeitszeiten und Organisationsmethoden hat sich bislang wenig geändert. Büros mit Fußballkicker, Obstkörben und bunten Büromöbeln scheinen in Deutschland schon zu Avantgarde-Erscheinungen des modernen Arbeitslebens zu zählen. Für Markus Albers von der Berliner Agentur rethink sind diese Anreize eher ein Feigenblatt, um Mitarbeiter krampfhaft bei Laune zu halten. Vorbild des in Deutschland am weitesten verbreiteten Bürokonzeptes sind die im 16. Jahrhundert in Florenz gebauten Uffizien, von denen sich das englische Wort für Büro ableitet: „Office“. Freie Arbeitsgestaltung ist weitgehend Fehlanzeige. Es gilt immer noch das Motto „Ich sitze im Büro, also arbeite ich“. Ob man die Wand anstarrt, die Minuten bis zum Feierabend zählt oder Kollegen nervt, spielt keine Rolle.

Easy Economy


Dabei sind wir schon längst eine Wissens- und Dienstleistungsökonomie. Ein Großteil der Menschen arbeitet in Informations- und Serviceberufen. Galt bisher die Maxime „Arbeiten in einer festen Struktur, am fixen Ort und zur bestimmten Zeit“, so erlauben neue technologische Entwicklungen wie Cloud Computing das „Arbeiten mit wem, wo und wann man will”. Markus Albers sieht eine Metamorphose zur „Easy Economy“, die sich nicht mehr über Bürogebäude definiert:

„Sie hilft Unternehmen, die klügsten Köpfe anzuziehen, die besten Produkte zu entwickeln und nebenbei noch Immobilienkosten zu sparen, weil Büros bis zu 50 Prozent kleiner sein können, wenn nicht mehr jeder jeden Tag 9to5 am Schreibtisch sitzt.“

Tim Cole und Ossi Urchs bezeichnen das in ihrem Buch „Digitale Aufklärung“ als Wertschöpfungsnetzwerk. Komplexe Aufgaben werden in einfache Module zerlegt und über das Netzwerk an Personen vergeben, die dafür die nötige Kompetenz besitzen und gerade Zeit haben.

„So werden einzelne Mitarbeiter, Arbeitsgruppen und sogar ganze Organisationseinheiten projekt- und aufgabenbezogen zu Teams zusammengeführt und bilden damit eine Art virtuelle Organisation auf Zeit. Unternehmen werden für bestimmte Aufgaben bestimmte Teammodule schnell zusammenstellen können, sozusagen eine Cloud-Belegschaft.“

Und sie werden nur für das bezahlen, was an Funktion und Leistung abgefragt wurde. Auch die Service-Organisationen müssen dezentral, flexibel und vernetzt arbeiten, um in Echtzeit auf den Beratungsbedarf der Kunden zu reagieren, so das Credo von Dehler. Ansonsten bleibt eben nur die von Industrieunternehmen bekannte Rosskur übrig: Standortschließungen, Stellen streichen, den Rotstift ansetzen und an der falschen Stelle sparen. Auf der Strecke bleibt die Beratungsqualität.