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Unter Textbausteinen begraben

Wenn sich der Himmel – wie in Corona-Zeiten – verdüstert, möchten Menschen nicht mit Floskeln und Austauschbarem zugedeckt werden.
Werner T. Fuchs | 03.08.2020
Unter Textbausteinen begraben © Freepik
 

Während Schönwetterperioden können wir Beschreibungen mit Textbausteinen überlesen. Doch wenn sich der Himmel – wie in Corona Zeiten – verdüstert, möchten Menschen nicht mit Floskeln und Austauschbarem zugedeckt werden.



„Das Jahr schreitet voran, Corona ist in aller Munde und die Desinfektion ein großes Thema.“ Ein Comedian würde fortfahren: „Das müssen Sie sich jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen.“ Die Lacher wären ihm sicher. Aber leider ist es der Beginn einer Mail, die Aufnahme in meine Sammlung „Marketing-Verbrechen am helllichten Tag“ gefunden hat. Und weil Prävention inzwischen als Synonym für „Gute Tat“ gehandelt wird, will ich im Folgenden die Frage klären, wie es überhaupt zu solchen Angriffen auf den gesunden Menschenverstand kommen kann. Wer sind die Täter? Was sind ihre Motive? Wie ist der Fall zu lösen?

 

Die Täter

Spätestens beim Eintritt ins Erwachsenenalter kann sich der Mensch auch schriftlich ausdrücken. Zu diesem Glauben führt die pädagogische Langzeitsozialisierung, die mit der Alphabetisierung beginnt und mit dem Erörterungsaufsatz einen sprachlichen  Höhepunkt erreicht. Profiler müssen also davon ausgehen, dass für grässliche Newsletter fast jeder in Frage kommen könnte. Zumal Selbstüberschätzung im Internetzeitalter zugenommen hat. Schnell eine Vorlage suchen, minimal verändern, senden, To Do Liste nachführen – Feierabend. Zu den internen Verdächtigen gehören Persönlichkeitstypen, die zu Festivitäten aller Art gratulieren und gerne die Welt kommentieren. Profiler nehmen aber auch externe, professionelle Texter ins Visier. Und tatsächlich sitzen Vertreter dieser Berufsgattung später ebenfalls auf der Anklagebank. Weniger, weil sie es nicht besser könnten, sondern weil sie mit der Drohung „Entweder Sie schaffen in vorgegebener Zeit oder wir suchen einen anderen Texter“ erpresst werden. Wer diese Notlage nachweisen kann, darf auf Strafmilderung, aber nicht auf völligen Freispruch hoffen. Denn schließlich ist ein Texter auch dem Leser gegenüber verantwortlich. Ihm Bedeutendes vorzugaukeln und seine Zeit mit dem Auffangen von Textbausteinen zu stehlen, geht gar nicht. Die Frage nach den Tätern und deren Motive lässt sich ohne Klischees oder längere Exkurse offenbar nicht abschließend beantworten. Daher will ich in einem zweiten Teil mögliche Auswege aus der Misere zeigen.


Die Bewährungshelfer

Wer einem Täter „helfend und betreuend zur Seite steht“ (§ 56d StGB), weiss selbstverständlich, dass gutes Zureden keine berauschende Erfolgsquote vorweisen kann. Besser und durchaus im Sinne des Gesetzgebers ist es, die Erfüllung von Auflagen und Weisungen zu kontrollieren. Zudem ist es (noch) nicht verboten, Leidensdruck aufzubauen und auf die Folgen weiterer Verstöße aufmerksam zu machen.


Die Weisungen

Im Durcheinandertal namens Corona herrscht auch viel Aufregung, weil Befehle zu erteilen und zu befolgen aus der Mode gekommen ist. Aber das Anything Goes-Modell funktioniert eben nicht überall. Schon gar nicht, wenn es um Leben und Tod geht. Und obwohl Texter vor einer anderen Bedrohungslage stehen als Feuerwehrmänner, Polizistinnen, Soldaten, Ärztinnen oder Pilotinnen, geht es auch bei der schreibenden Zunft ums Überleben. Denn löst eine Mail keinen Aha-Effekt aus, stirbt ihr Inhalt und mit ihm vielleicht sogar ihr Verfasser.

Ein guter Bewährungshelfer beschränkt sich auf drei, zum Pflichtteil gehörende Weisungen. Wie banal oder selbstverständlich die Punkte einer Checkliste sein können, macht gleich die erste Weisung klar. Denn sie lautet: Prüfe immer, ob das Geschriebene auch Sinn macht. Bei der Beurteilung hilft auch, sich das Gegenteil vorzustellen. Beispiel: „Auch wenn die Lage ernst ist, möchten wir Sie wissen lassen, dass wir weiterhin für Sie da sind.“ Gegenteil: „... dass wir nicht mehr für Sie da sind.“ Verfasst wurde die Einleitung dieser Mail nicht von der Besatzung eines torpedierten U-Bootes, sondern von einer Bank.
Zweitens: Versuche nicht, Gefühl zu wecken, die du nicht selber empfindest. Es ist nicht authentisch, wenn mir ein Unternehmen „Sie fehlen uns!“ schreibt, um mir gleich darauf ein Sonderangebot zu unterbreiten. Ein langer Lockdown schreibt Geschichten von Ratlosigkeit, Trauer, Wut, Betroffenheit, Neid und Einsamkeit. Aber wenn Sinnlücken mit Textbausteinen statt mit Anteilnahme gefüllt werden, ist es mit der Sympathie vorbei.
Die dritte Weisung nennt sich „Gesetz der psychologischen Distanz“. Und seine Befolgung richtet den Scheinwerfelkegel der Aufmerksamkeit sofort auf Ihren Text. Menschen interessieren sich primär für Ereignisse, die sich in ihrer Umgebung abspielen, von Gegenwärtigen oder unmittelbar Eintreffendem handeln, den eigenen Stamm betreffen und mit großer Wahrscheinlichkeit Folgen haben.


Das Ende

Am Schluss einer Geschichte möchten wir, dass die Sonne aufgeht und der Held ihr entgegenreitet. Wem das zu kitschig ist, muss das Ende zumindest so offen gestalten, dass sich der Leser eine positive Fortsetzung zurechtbasteln kann. Auf Nimmerwiedersehen, liebe Textbausteine.