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Verstehen, was Vertrieb wirklich ausmacht

Um wirklich erfolgreich Vertrieb zu machen, sollte man zunächst wissen, was Vertrieb ist. Worin unterscheiden sich Vertrieb und Marketing überhaupt?
Pritu Detemple | 20.12.2021
Verstehen, was Vertrieb wirklich ausmacht © Freepik
 

Um im Vertrieb erfolgreich zu sein – eigentlich sogar, um wirklich Vertrieb zu machen –, sollte man zunächst wissen, was Vertrieb ist. Das mag trivial klingen, und wahrscheinlich wird jeder, der gefragt wird, was Vertrieb sei, die eine oder andere Antwort parat haben. Wir werden aber gleich sehen, dass es doch nicht ganz so einfach ist, die Disziplin »Vertrieb« zu definieren.

Worin unterscheiden sich Vertrieb und Marketing?

Viele Unternehmer und Angestellte kennen den Unterschied zwischen Vertrieb und Marketing überhaupt nicht. Zugegeben, auch ich habe zu diesem Personenkreis gehört. Wie viele Mitarbeiter im Vertrieb war ich überzeugt davon, dass ich vertreibe, aber tatsächlich betrieb ich reines Marketing. Ich machte den Fehler, dass ich anstelle von Sales-Techniken die Methoden des Marketings einsetzte und dadurch zunächst einmal im Verkauf scheiterte. Warum konnte mir dieser Fehler überhaupt unterlaufen? Ganz einfach: Ich kannte die Unterscheidung zwischen Vertrieb und Marketing nicht. Keine Quelle konnte mir schlüssig und endgültig darlegen, worin sich Sales vom Marketing unterscheidet oder abgrenzt.

All die Definitionen, die ich in BWL-Lehrbüchern und Lexika fand oder die mir von Beratern erläutert wurden, verwirrten mich nur noch mehr. Die Definitionen waren zu umfassend, zu kompliziert und für mich nicht praxisnah genug. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben. Schauen wir uns etwa die Definition der Wikipedia für den Suchbegriff »Vertrieb« an: »Der Vertrieb ist eine betriebliche Funktion in Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Kunden oder Endverbraucher verfügbar machen soll. Es handelt sich um das Element des Marketing-Mix, das in älteren Lehrbüchern als Distributionspolitik bezeichnet wurde. Nach aktuellem Marketingverständnis handelt es sich um Vertriebspolitik, bei der die Umsetzung der Vertriebsstrategie und die effiziente Gestaltung des Vertriebsprozesses im Vordergrund stehen.«

Haben Sie jetzt eine Vorstellung davon, was Vertrieb ist oder was ein Mitarbeiter im Vertrieb genau tut? Also ich nicht. Und das ist noch eine sehr kurze, recht allgemeine Begriffsdefinition. Mit all den anderen hat sie aber gemeinsam, dass sie sehr wissenschaftlich klingt und dass man sie sicher gut dazu verwenden kann, beim Date mit dem BWL-Studenten etwas Eindruck zu schinden. Aber sie erklärt letztlich nicht, was Vertrieb eigentlich ist. Oder – etwas abgeschwächter formuliert, um beim akademisch vorgebildeten Leser nicht ganz in Ungnade zu fallen – es handelt sich zumindest nicht um eine pragmatische, also eine auf die Praxis des Vertriebs bezogene Definition.

Lassen Sie es uns also einfach einmal selbst versuchen! Beginnen wir mit einer Gemeinsamkeit. Einer, die oft für die Verwechslung oder Vermischung von Marketing und Vertrieb verantwortlich ist: das Verkaufen. Marketing und Vertrieb haben ein gemeinsames Ziel: Verkaufen. In beiden Disziplinen gibt es einen Verkaufsprozess, an dessen vorläufigem Ende das Closing, der Verkaufsabschluss steht. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese beiden Prozesse austauschbar wären.

Dream-Team: Marketing weckt Bedürfnisse, Sales entdeckt sie

Der größte Unterschied zwischen Vertrieb und Marketing sind die unterschiedlichen Kommunikationsweisen, die unterschiedlichen Perspektiven oder der unterschiedliche Fokus. So richtet sich das Marketing oftmals mehr auf das Produkt, während sich der Vertrieb auf den Kunden konzentriert und direkt mit ihm oder ihr kommuniziert. Eine mit dem Kundenbedürfnis befasste, auf das Produkt fokussierte Marketingmaßnahme ist beispielsweise die Weckung von Bedürfnissen durch Werbung. Sie kommuniziert Vorteile eines Produkts, rückt dieses ins beste Licht und weckt Begehrlichkeiten durch die Vermittlung eines angestrebten Lebensgefühls – oder durch das Versprechen eines erwünschten gesellschaftlichen Status und der Identifikation mit einer sozialen Gruppe.

Das Entdecken von Bedürfnissen dagegen ist eine mit dem Kundenbedürfnis befasste Vertriebsmaßnahme. Sie richtet sich direkt an den Kunden und braucht die Bedürfnisweckung nicht, denn sie fragt nach einem wirklichen Mangel oder einem bestehenden Problem und deckt dadurch ein tatsächliches Bedürfnis auf, nicht nur ein vermeintliches oder selbst generiertes. Anstatt sich auf die generischen Vorteile eines Produkts zu konzentrieren, fragt sie danach, ob der Kunde einen individuellen Nutzen aus einem ganz bestimmten Produkt ziehen kann und welcher das ist. Der Kunde wird so darin unterstützt, seinen Bedarf selbst zu erkennen. Anstatt ihm also etwas zu verkaufen, lassen wir ihn eher einkaufen.

Demonstration versus Präsentation

Ein weiterer Unterschied zwischen der Sprache des Vertriebs und der Sprache des Marketings liegt in der Unmittelbarkeit und Anschaulichkeit der Kommunikationsmethoden. Im Vertrieb sollten demonstrierende Methoden vorherrschen, die sich individuell und unmittelbar mit dem Kunden befassen. Im Marketing dagegen werden eher präsentierende Methoden eingesetzt.

Ein kurzes Beispiel: Eine potenzielle Kundin steht in einem Autohaus vor dem Auto, für das sie sich offensichtlich interessiert. Ein Verkäufer begrüßt sie und drückt ihr eine teuer aufgemachte Broschüre in die Hand. Darin werden all die Features und Vorteile des Fahrzeugs aufgelistet. Tempomat serienmäßig, Kurvenlicht ohne Aufpreis dazu. Was, denken Sie, macht dieser Verkäufer, präsentieren oder demonstrieren?

Ein anderer Verkäufer kommt hinzu und hält nur einen Autoschlüssel in der Hand, mit dem er die Kundin zur Probefahrt einlädt. Sie wissen es natürlich schon: Das wird eine Demonstration.

Die Hauptunterschiede zwischen Marketing und Vertrieb.  

Sagen versus Fragen

Während die Kundin nun also versucht, die Broschüre zu lesen, hält der erste Verkäufer ihr einen Vortrag über die Vorteile des Fahrzeugs und seiner Ausstattung. Wie die meisten von uns hat er es nicht anders gelernt: Kommunizieren bedeutet für uns meist, dass wir sprechen, zeigen, präsentieren, darstellen und erklären. Vor allem, wenn wir anderen etwas schmackhaft machen, also verkaufen wollen. Nicht umsonst wird die Kunst des Verkaufens auch oft mit der Kunst des Redens, der Rhetorik, assoziiert. Über Techniken des Sagens und Präsentierens wissen wir schon alleine aufgrund unserer Schulbildung mehr als über Fragetechniken. Referate, Vorträge, PowerPoint-Präsentationen, all das sind Sagetechniken. Techniken, die im Marketing mit seiner oft breiten Publikumsansprache auch sehr gut funktionieren. Im Vertrieb hingegen müssen wir lernen, Fragen zu stellen, das Szenario des Kunden nachzuvollziehen, nach Bedürfnissen und Problemen zu forschen und im Dialog zu klären, ob das Produkt überhaupt das passende für die Kundin ist. Hierzu sind erforschende, auf Ausprobieren basierende (explorative) Methoden und Fragetechniken sinnvoll, auf die ich in den weiteren Kapiteln noch näher eingehen werde.

Nach der Probefahrt fragt der zweite Verkäufer schließlich die Interessentin nach ihrem Eindruck und findet heraus, dass ihr das Auto zwar äußerlich wirklich gut gefallen hat, ihr ein zweisitziger Sportwagen aber doch irgendwie zu tief auf der Straße liegt und sie zudem sicher ist, dass ihr Mann die Familieneinkäufe niemals in diesem kleinen Kofferraum unterbringen würde.

Masse versus Individuum

Anstelle einer abstrakten Definition haben wir nun eine auf die Praxis bezogene Abgrenzung zwischen Vertrieb und Marketing erarbeitet. Ich möchte noch einmal kurz zusammenfassen: Marketing richtet sich meist an ein breiteres Publikum und benötigt eine große Reichweite, um durch Werbung und Präsentationen ein Bedürfnis zu wecken und dieses schließlich zu befriedigen. Der Vertrauensaufbau im Marketing findet durch den Aufbau und die Kommunikation einer Marke statt.

Vertrieb hat einen mehr individuellen, analytischen und entdeckenden Charakter. Er ist bedürfnisorientiert und daran interessiert, mit dem Interessenten im Dialog zu interagieren. Vertrauen wird im Vertrieb durch individuelle Gespräche zwischen Personen aufgebaut und durch die Pflege guter Beziehungen erhalten. Das Wissen über diese Methoden sollte zum grundlegenden Sales-Mindset eines jeden guten Verkäufers gehören.

 

Das Buch zum Thema

Neues Denken im Vertrieb

Seiten:222
ISBN:9783869806082
Erscheinungsjahr:2021

https://www.businessvillage.de/neues-denken-im-vertrieb/eb-1124.html

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Über Pritu Detemple

Pritu Detemple ist studierter Philosoph. Mit seiner Firma unterstützt er Unternehmende beim Aufbau skalierbarer Vertriebseinheiten.