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7 Dienstleister ≠ Dienst leisten - Eine kurze Geschichte über ein sehr altes Missverständnis

Die Geschichte über enttäuschte Erwartungshaltungen im Dienstleistungsbereich beruht auf einem alten Missverständnis.
Bernhard Gandolf | 30.08.2011
Die Geschichte über enttäuschte Erwartungshaltungen im Dienstleistungsbereich beruht auf einem alten Missverständnis. Karl Marx erkannte das lange bevor es hieß: „Warteschleife, First Call Resolution Rate und Cost per Call.“ Auftraggeber von Call Center Dienstleistungen können mit Hilfe von Normierungshandbüchern, Kommunikationspaketen und Vertragssystem-Umstellung zumindest einen Großteil möglicher Konflikte ausräumen.

„Das hätte ich mir von meinem Dienstleister aber schon erwartet!“ – Wer kennt diesen Ausspruch und das damit verbundene Gefühl nicht? Eigentlich ganz egal, ob es sich um einen Call Center Outsourcer, den Handwerker oder einen sonstigen Dienstleister handelt. Der Auftraggeber der Dienstleistung ist enttäuscht! Sehr häufig treffen Erwartungshaltung und Ergebnis aufeinander, ohne deckungsgleich zu sein. Doch woran liegt das? Sind Dienstleister wirklich so schlecht, wie so mancher Auftraggeber sie erlebt, oder sind umgekehrt, die Erwartungen ebendieser aus Perspektive der Auftragnehmer maßlos überzogen?


7.1 Jemandem einen „Dienst leisten“ – kulturelle Bedeutung und eine Erkenntnis von Karl Marx

Wer einem anderen einen „Dienst leistet“ oder „erweist“, der hilft bei etwas maßgeblich. So versteht es unser Kulturkreis. Das Verb „bedienen“ schwingt laut mit. Prompt treten beim geneigten Leser bestimmte Assoziationen auf.
Karl Marx (1818 bis 1883) beschäftigte sich als Erster wissenschaftlich sehr intensiv mit der Unterscheidung „Dienstleistung“ und „Dienst leisten“. So bezeichnet Marx auch als Erster in den Wirtschaftswissenschaften eine Dienstleistung als Ware – als ein Produkt, das Mehrwerte schafft und damit handelbar ist. Mit dieser für Manche überraschenden Aussage wecken seit Generationen Professoren für Ökonomie das Interesse ihrer Studenten im ersten Semester.

Im Werk „Theorien über den Mehrwert I“ von Karl Marx heißt es auf Seite 128: „Für den Produzenten dieser Dienste sind diese Dienstleistungen Waren. Sie haben einen bestimmten Gebrauchswert und einen bestimmten Tauschwert.“
Wer jemandem einen „Dienst leistet“, den klassifiziert Marx als einen „Bediensteten“. Doch Vorsicht, der Wortgebrauch änderte sich im Laufe der letzten 150, ja fast 200 Jahre!
„Diese Bediensteten sind der von dem Mehrprodukt lebende „Teil der dienenden Klasse, der nicht von Kapital, sondern von Revenue (Anmerkung: gemeint ist der Ertrag des Leistungsempfängers) lebt.“ K. Marx, Grundrisse, Seite 305 Anm.
In diesen für heutige Rezipienten etwas weltfremden Formulierungen wird nach Kenntnis des Autors erstmals der eingangs erwähnte Unterschied festgehalten. Einen „Dienst leisten“ kann zwar durchaus einen Mehrwert für den Leistungsempfänger schaffen, aber es stellt keine Ware oder Produkt im obigen Sinne dar. Diese Unterscheidung gilt in unserem Wirtschaftssystem bis heute und ist ein Hauptgrund für enttäuschte Erwartungshaltungen bei Auftraggebern und Unverständnis bei Auftragnehmern eben auch von Call Center Dienstleistungen.
Wer also eine Dienstleistung einkauft, darf nicht erwarten, dass ihm auch ein Dienst erwiesen wird. Wenn es trotzdem passiert, stellt es einen zusätzlichen Bonus dar!


7.2 Typische Zielkonflikte

Einige Konflikte sind bereits vorprogrammiert. Will einerseits der Auftraggeber den Fokus auf die Qualität legen, so muss es umgekehrt im Sinn des Auftragnehmers sein, produktionsoptimiert zu arbeiten. Das schließt Qualität nicht per se aus, erfordert aber einen Konsens, wie ein gemeinsames Ziel, Qualität mit einem gleichen Verständnis davon, erreicht werden kann.
Strebt das beauftragende Unternehmen nach Individualität, so möchte der Dienstleister möglichst standardisiert arbeiten. Das ermöglicht die größte Effizienz und damit kann das Ziel „positive Gelderträge“, viel leichter erreicht werden.

Liegt es naturgemäß im Interesse desjenigen, der eine Leistung fremdvergibt, Kontrolle und Transparenz zu haben, so möchte der andere seine Betriebsgeheimnisse bestmöglich wahren.
Der größte Konflikt besteht freilich darin, dass ein Grund für das Outsourcing häufig in einer erwarteten Kostenreduktion besteht. Dem steht das natürliche Ziel des Auftragnehmers gegenüber, seinen Gewinn zu optimieren.

Abbildung 1: Typische Zielkonflikte und Ansätze für Zielharmonisierung (PDF)


7.3 Drei Ansätze für Lösungen in der Praxis

Es gibt drei Arten von Zielkonflikten:
• Systembedingte
• Hausgemachte
• Unrealistische Erwartungshaltungen
Systembedingte Zielkonflikte können nicht gelöst werden, ohne dass eine Änderung des ganzen Systems stattfände. Vereinbaren beide Seiten etwa ein pauschales Vergütungsmodell, werden in neun von zehn Fällen die Auftraggeber unzufrieden mit der Leistungserbringung sein (Ausnahme, sie bezahlen überhöhte Marktpreise, ansonsten hat der Auftragnehmer keinen Anreiz, die Ziele des Auftraggebers zu erreichen). Die Lösung lautet: Veränderung des Vergütungsmodells.
Ein typischer Fall für einen hausgemachten Zielkonflikt lautet: „Die Qualität stimmt nicht – allerdings haben wir diese auch nicht definiert!“ Solche Zielkonflikte können mindestens gemildert, wenn nicht abgestellt werden. Das setzt voraus, dass man sich über die Ziele und Ansprüche des jeweils anderen bewusst ist und möglichst von Anfang an genaue Definitionen und eine hohe Transparenz kommuniziert. Im erwähnten Beispiel hilft ein Normierungshandbuch ungemein. Alle relevanten Kriterien, die die Qualität eines Vorganges definieren, werden in der jeweiligen Ausprägung genau definiert. So exakt wie nötig, so offen wie möglich, um der Individualität der Kommunikation Rechnung zu tragen. Die Kriterien erfahren untereinander eine Gewichtung und beide Seiten bekräftigen durch eine Unterschrift die Gültigkeit.
Beim dritten Punkt „unrealistische Erwartungshaltungen“ schafft ein Kommunikationspaket Abhilfe. Der häufigste Grund für Konflikte, die auf Punkten wie „unrealistischen Zielen, nicht geklärten Kompetenzen und dergleichen“ basieren, besteht in einer mangelnden Kommunikation. Besonders immanent wird das Problem, wenn ein Ansprechpartner auf einer Seite wechselt, weil dann häufig nicht mehr als der Vertrag vorliegt. Ein Kommunikationspaket sollte stets so aufgebaut werden, dass es die Projektziele, die –Organisation und –Historie widerspiegelt. Das Kommunikationspaket sollte für unterschiedliche Rezipienten wie Management, Projektleitung und Agents aufbereitet sein, damit schnell und verlässlich ein Bild kommuniziert werden kann. Nicht zu vergessen, Dinge ändern und verselbstständigen sich im Laufe der Zeit. Ein kleiner DIN A4 Ordner, vielleicht sogar optisch ansprechend gestaltet, kann in so manch einer „Krisensituation“ Wunder wirken. Motto: „Ach so ist das! Ja, jetzt verstehe ich.“



7.4 Über den Autor

Perfekter Kundenservice ist seit 1994 Bernhard Gandolfs Passion. Karrierestationen als Geschäftsführer eines Callcenter-Betreibers, leitender Managementberater sowie Kundenservice- und Telesales-Leiter bei führenden Telekommunikationsunternehmen in Deutschland und Österreich zeugen von seiner Expertise in den Themen Dienstleistungssteuerung und Qualitätsmanagement. Der Inhaber der Unternehmensberatung eisq  european institute for service quality ist in seinem Fachgebiet der einzige Certified Management Consultant/BDU in Deutschland.


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