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Chinesische Firmenübernahmen in Europa sinken auf 12-Jahres-Tief

Chinesische Übernahmen in Deutschland steigt hingegen von 26 auf 28. Britische Unternehmen deutlich seltener im Fokus chinesischer Investoren.
Ernst & Young GmbH | 28.02.2024
© freepik / pch.vector
 

Chinesische Käufer kommen bei Firmenübernahmen in Europa immer seltener zum Zug: Die Zahl der Transaktionen sank im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr von 139 auf 119. Im Jahr 2016 – auf dem Höhepunkt des Booms chinesischer M&A-Transaktionen in Europa – waren noch 309 Zukäufe chinesischer Unternehmen registriert worden. Auch das Transaktionsvolumen sank erneut: Der Wert der Beteiligungen und Übernahmen ging von 4,3 auf 2,0 Milliarden US-Dollar zurück – bei der Mehrzahl der Übernahmen liegen allerdings keine Angaben zu Kaufpreisen vor.

In Deutschland traten chinesische Investoren hingegen etwas häufiger in Erscheinung als im Vorjahr: Die Zahl der Übernahmen und Beteiligungen stieg von 26 auf 28. Sie lag damit aber ebenfalls deutlich niedriger als im Rekordjahr 2016, als 68 chinesische Zukäufe in Deutschland gezählt wurden. Das Investitionsvolumen lag mit 202 Millionen US-Dollar auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2010. Nicht enthalten sind in dieser Summe Risikokapitalinvestitionen in deutsche Startups, bei denen chinesische Unternehmen als Teil internationaler Investorengruppen aktiv waren.

Als Investoren spielen chinesische Unternehmen in Deutschland derzeit nur eine untergeordnete Rolle: Mit 28 Transaktionen in Deutschland belegte China im vergangenen Jahr Platz neun im Investorenranking, das von den Vereinigten Staaten und Großbritannien mit 225 bzw. 113 Transaktionen angeführt wird. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 war China noch der viertwichtigste Investor in Deutschland gewesen.

Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die Investitionen chinesischer Unternehmen in Deutschland und Europa untersucht.

„Das leichte Plus bei der Zahl chinesischer Unternehmensübernahmen in Deutschland ist noch keine Trendwende“, sagt Yi Sun, Partnerin und Leiterin der China Business Services in der Region Europe West bei EY. „Nach wie vor sind chinesische Unternehmen zurückhaltend, wenn es um Übernahmen in Europa geht. Das liegt auch an der konjunkturellen Situation in China und der Finanzlage chinesischer Unternehmen: Eine Expansion nach Europa durch M&A Aktivitäten hat innerhalb der Unternehmensstrategie vieler chinesischer Unternehmen derzeit keinen hohen Stellenwert mehr – sie konzentrieren sich auf eine Verbesserung ihrer eigenen Geschäftslage und auf ihr bestehendes Beteiligungsportfolio. Zum Teil gehört dazu auch die Trennung von Beteiligungen in Europa, etwa in der Automobilindustrie. Während Zukäufe in Europa gerade an Bedeutung verlieren, konzentrieren sich einige chinesische Investoren darauf, Mega-Fabriken in Europa zu bauen, besonders in den Bereichen Elektroautos und Batterien.“

Die Corona-Pandemie hatte zu erheblichen Einschränkungen bei der Aus- und Einreise nach China und den M&A-Aktivitäten geführt. Zu dem erwarteten Nachholeffekt nach der Aufhebung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sei es allerdings nicht gekommen, so Sun. Das hänge auch damit zusammen, dass chinesische Unternehmen sich in vielen europäischen Ländern teils erheblichem politischen Widerstand ausgesetzt sähen: „Potenzielle chinesische Investoren prüfen sehr sorgfältig, ob die Wahl bestimmter Übernahmekandidaten zu Widerstand bei Regierungen und zu Diskussionen in der Öffentlichkeit führen könnten“, sagt Sun. Die Hürden für ausländische Beteiligungen – gerade in bestimmten kritischen Branchen – seien inzwischen vielfach so hoch, dass schon in einem frühen Stadium von einer Übernahme abgesehen werde – selbst, wenn sie strategisch sinnvoll wäre.

Hinzu kämen die Spannungen zwischen den USA und China, die die Transaktionsaktivitäten hemmten, so Sun: „Wenn Übernahmekandidaten Produktionsstätten oder R&D-Zentren in den USA haben, werden potenzielle chinesische Bieter oftmals gar nicht erst eingeladen, um von vorneherein Problemen mit den zuständigen US-Behörden aus dem Weg zu gehen.“

Chinesen kaufen weniger Industrie-, aber mehr Hightechunternehmen

Im vergangenen Jahr gab es europaweit erneut mehr Unternehmensübernahmen und -beteiligungen im Hightechsegment, wozu in erster Linie Software- und Halbleiter-Unternehmen zählen, als in klassischen Industriebranchen: Die Zahl der Übernahmen von Hightechunternehmen sank allerdings von 32 auf 26, gleichzeitig ging die Zahl der übernommenen Industrieunternehmen von 25 auf 24 zurück.

Sowohl im Industriesektor als auch im Hightechbereich engagierten sich chinesische Investoren bevorzugt in Deutschland: Von den europaweit 26 Deals im Hightechbereich betrafen sieben deutsche Unternehmen. Und von den 24 Transaktionen, bei denen Industrieunternehmen gekauft wurden, fanden acht in Deutschland statt.

In Deutschland wurden zudem besonders viele Transaktionen im Gesundheitsbereich gezählt, wozu neben Biotechunternehmen auch die Branchen Pharma und Medizintechnik zählen. Europaweit gab es in diesem Segment 14 Transaktionen, von denen sechs auf Deutschland entfielen.

Deutschland vor Großbritannien Top-Ziel in Europa

Nachdem 2021 und 2022 europaweit die meisten Transaktionen chinesischer Investoren in Großbritannien gezählt wurden, war 2023 Deutschland wieder das Hauptziel chinesischer Unternehmen. Großbritannien verzeichnet hingegen derzeit offenbar einen deutlichen Attraktivitätsverlust: Nach 35 Zukäufen im Jahr 2021 sank die Zahl der Deals im Jahr 2022 auf 27 und im Jahr 2023 sogar auf 17. Italien folgt knapp dahinter mit 15 Transaktionen – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr, als nur sechs italienische Unternehmen von chinesischen Unternehmen gekauft wurden.

Deutlich rückläufig war im Jahr 2023 das Transaktionsgeschehen in Frankreich – von 17 auf neun Übernahmen – und in Spanien: von acht auf drei Transaktionen.

Ausblick: Großes Interesse, relativ wenige Transaktionen

Yi Sun sieht trotz der überschaubaren Transaktionsaktivitäten nach wie vor ein grundsätzlich großes Interesse chinesischer Investoren an Übernahmen in Europa und vor allem in Deutschland: „Im vergangenen Jahrzehnt haben chinesische Unternehmen sich europaweit an fast 1.900 Unternehmen beteiligt, knapp 400 davon in Deutschland. Die Erfahrungen, die dabei auf allen Seiten gesammelt wurden, waren zumeist gut, so dass es inzwischen auf vielen Ebenen enge und belastbare Verbindungen zwischen chinesischen und hiesigen Unternehmen gibt. Die politischen und konjunkturellen Rahmenbedingungen sind allerdings derzeit nicht gerade günstig – und eine deutliche Besserung ist nicht absehbar. Daher werden große Deals die Ausnahme bleiben, stattdessen wird es weiterhin vorwiegend kleinere Transaktionen geben. Und Deutschland wird das bevorzugte Investitionsziel bleiben“, erwartet Sun. „Zudem werden die chinesischen Automobil- und Batteriehersteller in den kommenden Jahren in Europa weitere Milliardensummen investieren – allerdings nicht mehr durch M&A-Transaktionen, sondern im Rahmen sogenannter Greenfield-Investitionen, also des Aufbaus eigener neuer Produktionskapazitäten. Dabei sind Ungarn, Spanien, Frankreich und die nordeuropäischen Länder aufgrund attraktiver Investitionskonditionen – niedriger Energiekosten, höherer Subventionen und schneller Genehmigungsprozesse – besonders attraktive Investitionsstandorte. Deutschland wird hier nicht bevorzugt“.